Perspektiven-abhängige Wahrnehmung von Altern und Pflege verbunden mit der Akzeptanz unterstützender Technik
- Perspective-dependent perceptions of aging and care connected with the acceptance of assistive technology
Offermann-van Heek, Julia; Ziefle, Martina (Thesis advisor); Bollheimer, Leo Cornelius (Thesis advisor)
1. Auflage. - Aachen : Apprimus (2021)
Buch, Doktorarbeit
In: Dissertationen / HCI Center der RWTH Aachen DIS14
Seite(n)/Artikel-Nr.: xix, 293 Seiten
Dissertation, RWTH Aachen University, 2021
Kurzfassung
Der demographische Wandel und eine damit verbundene, rasant wachsende Anzahl älterer und pflegebedürftiger Menschen stellen eine große Herausforderung für die heutige Gesundheitsversorgung dar. Dies stellt viele Länder zusätzlich vor die Herausforderung, mit einem enormen Personalmangel umzugehen. Es ist daher zwingend notwendig, innovative Mittel und Wege zu finden, wie älteren Menschen zuhause ein möglichst unabhängiges Leben ermöglicht, Pflegebedürftige in ihrem Wohnumfeld oder in Pflegeinstitutionen unterstützt und familiär sowie professionell pflegende Personen in ihrem beruflichen Alltag entlastet werden können. Eine Möglichkeit, eine derartige Assistenz und Entlastung zu realisieren, liegt in der Nutzung unterstützender Technologien und Systeme. Verschiedenartige technische Lösungen bieten dabei u.a. sicherheitsrelevante (z.B. Notfall- und Sturzerkennung, Alarmierung und Absetzen eines Notrufs) und erleichternde Funktionen (z.B. Erinnerung an Medikamente, Flüssigkeitszufuhr, Termine).Neben den technischen Möglichkeiten und dem Potential unterschiedlich gearteter Unterstützung ist jedoch die Akzeptanz zukünftiger Nutzer der entsprechenden Technologien von essentieller Bedeutung für die nachhaltige Nutzung und erfolgreiche Integration der Technik in den Alltag. Bisherige Forschung betrachtet häufig sehr spezifische technische Lösungen und ebenso spezifische Nutzergruppen, verbleibt oftmals auf qualitativer Ebene und bezieht in Studien eher kleinere Stichproben ein. Ein Vergleich verschiedener, relevanter Nutzergruppen in Bezug auf die Akzeptanz unterstützender Technik im Alter ist daher bisher ausgeblieben. Zusätzlich sind gerade angesichts der Nutzung von Technik im Kontext Alter und Pflege Wünsche und Bedürfnisse hinsichtlich des Alterns und potentiell bevorstehender Pflege von Bedeutung, die bisher nicht hinreichend untersucht wurden. Die vorliegende Arbeit adressiert diese Forschungslücken und hat daher die Analyse des Zusammenhangs zwischen der Wahrnehmung von Altern und Pflege auf der einen sowie der Wahrnehmung und Akzeptanz unterstützender Technik auf der anderen Seite zum Ziel. Mit einer Fokussierung auf Deutschland wurden dabei in jedem Untersuchungsschritt unterschiedlichste Perspektiven zukünftiger Nutzer (d.h. ältere und jüngere Probanden, Frauen und Männer, erkrankte und gesunde sowie pflegeerfahrene und-unerfahrene Personen) einbezogen und miteinander verglichen. Die Betrachtung der beiden Bereiche Altern und Pflege sowie Akzeptanz unterstützender Technik erforderte die Konzeption eines mehrstufigen Untersuchungsansatzes. Zuerst wurden in einer qualitativen Interview-Studie relevante Faktoren für die Wahrnehmung von Altern und Pflege identifiziert. Auf Basis der Ergebnisse wurden Erhebungsinstrumente zur Quantifizierung der Wahrnehmung von Altern und Pflege konzipiert. Zusätzlich wurde die Akzeptanz unterstützender Technik ebenfalls für eine möglichst breite Stichprobe quantifiziert. Darüber hinaus wurde mithilfe eines Strukturgleichungsmodells untersucht, inwiefern die Wahrnehmung von Altern und Pflege mit der Wahrnehmung und Akzeptanz unterstützender Technik zusammenhängt. Final wurde untersucht, ob und inwiefern sich das identifizierte theoretische Akzeptanzmodell exemplarisch auf die Realität übertragen lässt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Altern überwiegend mit negativen Dingen assoziiert wird und u.a. die Themen Gesundheit, soziale Kontakte sowie Selbstständigkeit und Abhängigkeit von besonderer Relevanz sind. Die Thematik Pflege wird ebenfalls überwiegend negativ konnotiert, wobei die Aspekte Hilfe und Kontakt, Wünsche für das zukünftige Leben sowie Abhängigkeit und Selbstständigkeit relevante Faktoren darstellen. Im Rahmen der quantifizierenden Studie wurde hingegen eine durchschnittlich positive Haltung der Probanden zum Altern deutlich, wobei dies vom Alter, Gesundheitszustand und Pflegebedarf der Probanden beeinflusst wurde. Die Wahrnehmung von Pflege zeichnete sich u.a. durch ein starkes Bedürfnis nach Selbstständigkeit aus. Zusätzlich zum Alter, Gesundheitszustand und Pflegebedarf der Probanden nahm hier deren private Expertise im Bereich Pflege und damit die Perspektive pflegender Angehöriger Einfluss auf die Bewertung. Die Analyse der Wahrnehmung und Akzeptanz unterstützender Technik ergab eine positive Haltung der Probanden, wobei das Alter, das Vorliegen einer Behinderung und besonders deutlich professionelle Expertise in der Pflege, d.h. die Perspektive von Pflegepersonal, die Bewertung beeinflussten. Im Rahmen einer Modellierung der Gesamtzusammenhänge haben die Ergebnisse gezeigt, dass die Akzeptanz von der Wahrnehmung von Vorteilen und Barrieren beeinflusst wird, die wiederum mit der Wahrnehmung von Altern und Pflege korrelieren. Daher existiert ein indirekter Zusammenhang der Wahrnehmung von Altern und Pflege mit der Akzeptanz unterstützender Technik. In einem letzten Schritt wurde schließlich gezeigt, dass sich das identifizierte Akzeptanzmodell exemplarisch in die Realität spiegeln lässt, indem realitätsnahe Entscheidungen zur Nutzung unterstützender Technik analysiert und eindeutige Entscheidungsprofile identifiziert werden konnten. Mit ihren Erkenntnissen leistet die vorliegende Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Wahrnehmung und Akzeptanz unterstützender Technik im Alter und in der Pflege. Durch die breit gefächerten, heterogenen Stichproben konnten die Ergebnisse für unterschiedliche Nutzerperspektiven vergleichend betrachtet werden und geben Aufschluss über beeinflussende Nutzermerkmale. Die von den Ergebnissen abgeleiteten Handlungsempfehlungen und Hinweise für Technikentwicklung und Gesundheitsversorgung sollten bei der zukünftigen Planung und Entwicklung beachtet werden, um nicht nur technischen und politischen, sondern auch nutzerzentrierten und damit gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen.
Identifikationsnummern
- ISBN: 978-3-86359-970-6
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2021-04910