Theoretische und experimentelle Analysen zum Fitts´schen Gesetz bei der Interaktion mit großflächigen berührungssensitiven Bildschirmen

  • Theoretical and experimental analyses on Fitts´ Law on large-scale touch screens

Vetter, Sebastian Timm; Ziefle, Martina (Thesis advisor)

Aachen : Publikationsserver der RWTH Aachen University (2012)
Doktorarbeit

Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 2012

Kurzfassung

Ziel der Arbeit ist eine theoretisch und experimentell fundierte Erweiterung des Fitts´schen Gesetzes für die Interaktion mit großflächigen berührungssensitiven Bildschirmen. Das Fitts´sche Gesetz beschreibt die Kanalkapazität des menschlichen motorischen Systems bei der Ausführung von zielgerichteten Zeigeaufgaben und wird seit Ende der 1970er Jahre vor allem im Bereich der Mensch-Rechner Interaktion eingesetzt; beispielsweise um graphische Benutzungsoberflächen hinsichtlich der Größe und Positionierung von Interaktionsschaltflächen softwareergonomisch zu analysieren. Aufgrund der Notwendigkeit textuelle Informationen darzustellen, weisen diese in der Regel eine rechteckige Geometrie auf, während die Positionierung auf dem Bildschirm prinzipiell beliebig ist. Daher stellt sich die Frage, wie die Zielbreite bei rechteckigen Zielobjekten zu ermitteln ist und welchen Einfluss der Winkel zwischen Startposition und Zielobjekt auf die Bewegungszeit hat. Trotz einer beachtlichen Anzahl von experimentellen Untersuchungen ist der gesicherte Erkenntnisfortschritt als gering zu bewerten, da die meisten Studien methodische Schwächen aufweisen, die eine unabhängige Betrachtung der Effekte auf die Bewegungszeit erschweren. Zudem existiert eine Vielzahl weitgehend ungeprüfter Modellerweiterungen des Fitts´schen Gesetzes. Für die Anwendung des Fitts´schen Gesetzes im Bereich der Softwareergonomie wurde der Einfluss der Zielbreite und des Winkels in zwei experimentellen Studien systematisch untersucht. Die experimentellen Studien wurden auf einem großflächigen berührungssensitiven Bildschirm durchgeführt. Vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl älterer Computerbenutzer wurden in allen Studien altersheterogene Stichproben (N=100) untersucht. In der ersten Studie wurden verschiedene Parameter der Zielbreite untersucht. Um Einflüsse des Winkels auszuschließen, wurden in der Experimentalaufgabe rechteckige Zielobjekte unterschiedlicher Seitenverhältnisse in einem konstanten Winkel und einer konstanten Distanz dargeboten und um ihren Mittelpunkt rotiert. Hierdurch wurde eine systematische Variation der Zielbreite in Bewegungsrichtung erzielt, während die anderen Zielbreitenparameter nicht variiert wurden. Die Ergebnisse belegen, dass die Bewegungszeit in Abhängigkeit der Zielbreite in Bewegungsrichtung sowie der Zielhöhe orthogonal zur Bewegungsrichtung variiert. Anhand der Verteilung der Bewegungsendpunktkoordinaten zeigte sich, dass die Zielbreite in Bewegungsrichtung mit der visuell-motorischen Korrektur der Bewegungslänge, die Zielhöhe orthogonal zur Bewegungsrichtung mit der Korrektur der Bewegungsrichtung korrespondiert. In der zweiten experimentellen Studie wurde der Einfluss des Winkels zwischen Start- und Zielobjekt untersucht. Um eine Konfundierung mit Effekten der Zielbreite auszuschließen, wurde die Zeigeaufgabe mit kreisförmigen Zielobjekten ausgeführt, die in verschiedenen Winkelstufen und unter konstanten Distanzen dargeboten wurden. Die zeitbehafteten Bewegungstrajektorien wurden mittels eines Infrarot-Motiontrackingsystems erfasst. Die Ergebnisse der Zeitdaten zeigen einen sinusförmigen Verlauf der Bewegungszeit in Abhängigkeit des Winkels, welcher durch die Trägheitsanisotropie des Arm-Hand Systems erklärt werden kann. Die Verteilung der Bewegungs-endpunktkoordinaten bestätigt die Unabhängigkeit der visuell-motorischen Kontrolle von Bewegungslänge und Bewegungsrichtung. Die mittleren Bahnlängen weisen ebenfalls einen sinusförmigen Verlauf in Abhängigkeit des Winkels auf, was die Annahme einer biomechanischen Ursache bestärkt. Die Profile der mittleren Geschwindigkeit lassen zwei Phasen der Bewegungsausführung, die ballistische Initial Impulse Phase sowie die visuell-motorische Fehlerkorrekturphase erkennen. Die Ergebnisse der beiden Experimente wurden in ein Modell überführt und in einer weiteren Studie experimentell validiert. Hierzu wurden rechteckige Zielobjekte unterschiedlicher Seitenverhältnisse an einer zufälligen Position dargeboten. Auf Basis der erhobenen Zeitdaten wurde die Passungsgüte von acht, aus der Literatur bekannten, Modellerweiterungen des Fitts´schen Gesetzes ermittelt. Die Ergebnisse bescheinigen dem erweiterten Modell die höchste Vorhersagegenauigkeit und sprechen zudem für eine altersdifferenzierte Modellierung, da sich die Modellparameter der jüngeren und älteren Probanden deutlich unterscheiden. Die Einsatzmöglichkeiten des erweiterten Fitts´schen Gesetzes wurden beispielhaft anhand eines Desktop-Modell zur ergonomischen Anordnung von Interaktionselementen auf großflächigen berührungssensitiven Bildschirmen aufgezeigt. Aufgrund der prinzipiellen Ähnlichkeit zielgerichteter Zeigebewegungen mit Hinlangbewegungen bei der Ausführung manueller Montagetätigkeiten wurde das erweiterte Fitts´sche Gesetz außerdem herangezogen, um die Anordnung verschiedener Greifbehälter unter ergonomischen Gesichtspunkten zu bewerten und Gestaltungsempfehlungen abzuleiten.

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